Game Over?

Expertenbeitrag von Falk Ebert
Das unterschätzte Medium
Spiele sind „reine Spielerei“ – so ein häufiges Urteil. Schon in dieser Formulierung steckt ein kultureller Reflex: eine gewisse Geringschätzung dessen, was Millionen von Menschen täglich tun. Dabei ist das Spielen eine der ursprünglichsten Formen menschlicher Interaktion – tief verwurzelt in Kultur, Bildung und Gemeinschaft.
Insbesondere digitale Spiele sind heute nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich von enormer Bedeutung. Weltweit spielen rund 3,4 Milliarden Menschen – in Europa sind es etwa 450 Millionen. Die Industrie dahinter setzt jährlich rund 188 Milliarden US-Dollar um. Zum Vergleich: Das ist mehr als Musik und Film zusammen. Wer Gaming als Nische behandelt, blendet die Medienrealität von Milliarden aus.
Mitspielen beim neuen Leitmedium?
Anders als in den Köpfen mancher, ist auch der typische Gamer längst keine Randfigur mehr. Das durchschnittliche Alter von Spielerinnen und Spielern liegt heute bei Mitte 30. Und wer spielt, tut das oft intensiv: Spielende des Shooters Counter-Strike investierten im Schnitt über 1.000 Stunden in das Spiel. Durchschnittliche Spielende von Roblox verbringen dort 2,4 Stunden am Tag, was sich über das Jahr 2023 zu einer gesamten Roblox-Nutzungsdauer von über 60 Milliarden Stunden aufsummierte.
Spiele sind dabei nicht nur unpolitischer Zeitvertreib. Sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Trends, spiegeln kulturelle Werte der Schöpfer:innen wider – teilweise explizit, teilweise implizit über ihre Spielmechaniken. Wenn der Anteil europäischer Länder an den Spieleumsätzen gering bleibt, liegt es also nahe, Konsequenzen zu vermuten, die über das Wirtschaftliche hinausgehen. In Deutschland beispielsweise entfallen nur rund fünf Prozent des Umsatzes auf heimische Publisher. Wer nicht mitspielt, verliert kulturell an Einfluss.
Made in Europe?
Die gute Nachricht: Europa hat eine Spieleindustrie. Über hunderttausend Menschen in Europa arbeiten in der Branche. Es gibt kreative Studios, innovative Titel und internationale Erfolge. Beispiele wie CD Projekt Red aus Polen, Larian Studios aus Belgien oder Supercell aus Finnland zeigen, dass Qualität aus Europa kommen kann. Erfolgreiche (teil-) europäische Titel wie The Witcher, Baldur’s Gate 3, Clash of Clans, aber auch deutsche Klassiker wie Die Siedler und die Anno-Reihe verdeutlichen das kreative Potenzial der Region.
Doch der Markt ist hart. Studios in Europa kämpfen mit strukturellen Herausforderungen: Die Games-Branche vereint das Komplexeste aus zwei Welten – Tech und Kreativwirtschaft. In beiden Feldern ist Europa oft nicht vorn dabei. Es fehlt an Finanzierung, Talentsicherung und langfristiger Industriepolitik. Das oben umrissene Potential von Games wurde in vielen Ländern erst zu spät erkannt – und dann ohne strategische Perspektive gefördert.
Relevanz, auch jenseits der Industrie
Auch Unternehmen, die selbst keine Games entwickeln oder vertreiben, sollten genau hinschauen. Spiele können auch dort in verschiedenen Dimensionen eine Rolle spielen.
- Spielende als kommunikative Zielgruppe: Marken können gezielt auf Gaming-Subkulturen eingehen – etwa über eSports-Sponsorings oder Markenkooperationen.
- Spielende als Märkte: Wer neue Zielgruppen erschließen will, kann Spieler:innen als eigenständiges Marktsegment adressieren – mit spezifischen Produkten oder Angeboten, etwa dem Gamer-Stuhl oder Gaming-Energy-Drink.
- Gebrandete Spiele: Eigene Spiele, z.B. auf Plattformen wie Roblox oder Fortnite, ermöglichen es Unternehmen, komplexe Botschaften interaktiv erlebbar zu machen.
- Gebrandete Inhalte: Klassisches In-Game-Marketing – etwa in Form von Product Placements – sorgt für Sichtbarkeit innerhalb bestehender Spielewelten.
Selbst für Firmen, für die eine so direkte Annäherung an das Thema nicht in Frage kommt, kann sich ein Blick in die virtuellen Welten lohnen. Elemente aus Games – etwa Fortschrittsanzeigen, Belohnungssysteme oder interaktives Storytelling – finden längst auch außerhalb von Spielen Anwendung, z. B. in Lernprozessen oder Loyalty-Programmen. Das Stichwort dabei ist schon lange bekannt: Gamification.
Fazit
Gaming ist kein Nischenphänomen mehr. Wenn wir Europa wirtschaftlich, kulturell und technologisch zukunftsfähig machen wollen, sollten wir Games längst nicht mehr als Spielerei abtun. Sondern uns aktiv mit ihnen auseinandersetzen – mit den Herausforderungen, aber auch mit den Potenzialen des Mediums.
1 Newzoo (2024) 2 Playtracker (2025) 3 Roblox Earnings Report (2024) 3 game e.V. (2023) 4 videogameseurope (2023)
Verfasser: Falk Ebert

Experten Bio:
Falk Ebert ist Freelance Consultant für Strategie und Innovation mit dem
Schwerpunkt "Gaming". Der 200 Milliarden Dollar Markt mit seinen 3,4
Milliarden Usern wird nach wie vor nur eingeschränkt von Unternehmen
genutzt um Produkte und Marketing-Botschaften zu platzieren.
Falk berät Unternehmen darin, wie sie das enorme Potenzial dieser
Branche für sich effizient nutzen können.
https://www.linkedin.com/in/falkebert/

